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Sonntag, 31. Juli 2016

Das Mädchen im Sandkasten

Liebes kleines Mädchen,
Du wirst dich wahrscheinlich bald nicht mehr an mich erinnern. Wir haben uns am Samstag bei einer kleinen Grillfeier gesehen. Du saßt im Sandkasten und spieltest mit den Schaufeln, dem großen Laster und der Sandmühle. Du hast sehr große, schöne und dunkle Augen. Der Sommerspross und ich setzten uns ebenfalls in den Sand. Vom Aussehen her schätzte ich dich auf drei Jahre. Später erfuhr ich, dass du wohl bald in den Kindergarten kommst. Ich habe dich eine ganze Weile beobachtet. "Baum", sagtest du immer wieder. Mal zeigtest du auf den großen Baum hinter uns, mal auf einen Ast. Dann wieder "Baum". Dabei konnte ich auch deine Zähne sehen. Sie sind dunkel verfärbt, einer entweder abgefault oder abgebrochen. "Baum". Wir spielten alle miteinander, unser Sommerspross wollte grundsätzlich dein Spielzeug. Aber es harmonierte doch ganz gut - auch wenn ich leider nicht immer verstand, was du wolltest. "Baum." Am Tisch hinter uns war eine weitere Familie schon beim Essen, ein anderes Pärchen mit einem Baby machte sich ebenfalls daran, das mitgebrachte Grillzeug zu essen. "Willst du auch was?", fragte dich die Fau mit dem Baby. Du hast den Kopf geschüttelt. Zu dir hin kam niemand. Du wurdest nicht gefragt, was du spielst. Auch dein Vater fragte bloß, ob du was essen möchtest. Den ganzen Abend über war das die Kommunikation mit dir. Nach zwei Stunden stand deine Mutter mal neben dir. Da spieltest du mit dem Rutschauto. In den Arm genommen wurdest du nicht. Mir tat es in der Seele weh, dich ständig alleine zu sehen. Deine kleine Schwester war am Tisch dabei. "Baum". Ich musste an die kleine zweijährige Tochter meiner Freundin denken. Meine Freundin spielt mit der Kleinen Dusche. Die Kleine nimmt einen Ast, hält ihn über ihre Mama. "Au, ich habe Schaum in den Augen", jammert meine Freundin. "Mach die Augen zu", piepst ihre Tochter. Wieder hält sie die improvisierte Brause über den Kopf der Mama. "Ich habe Schaum in den Augen!" "Mach die Augen zu." Das geht lange. Kleines Mädchen, währenddessen sitzt du alleine in der Sandkiste. Man zeigt dir nicht, was Fantasie ist, was man alles spielen kann. Schaufelst ein wenig Sand auf die Mühle, lässt den Sand durch deine Finger gleiten. Mit deinen großen Augen schaust du mich an. Es zerreißt mir fast das Herz und während ich mit dem Sommerspross im Sandkasten sitze, rede ich mit euch beiden. Ich möchte, dass du weißt, dass diese Welt schön ist. Ich erzähle dir, was wir dort im Sandkasten spielen. "Baum." Deine Eltern rufen: "Möchtest du was essen?" Du schüttelst wieder den Kopf. Zu dir hin kommt aber niemand. Niemand, der dich an der Hand nimmt, dir zeigt, was auf dem Tisch steht. Du beschwerst dich auch nicht, spielst mit dem Rutschauto, nimmst auch mal den Ball und schaufelst Sand auf die Sandmühle. Ab und zu schaust du mich mit deinen großen Augen an. "Baum." 
Liebes kleines Mädchen, ich wünsche dir, dass deine Eltern mit dir spielen. Dir erzählen, was der Baum macht. Wo die Fische in dem kleinen Gartenteich sind. Dir zeigen, was diese schöne Welt alles zu bieten hat. Dass deine Eltern endlich aufwachen und sich mit dir beschäftigen.
Ich werde dich nicht vergessen!
Die Mama vom Sommerspross

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