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Freitag, 8. April 2016

Geburtsbericht II: Schneller ist nicht unbedingt besser

Von einer Gastautorin
Ich habe bereits zwei Kinder zur Welt gebracht. Im Abstand von zwei Jahren. Beide sind spontan zur Welt gekommen. Beide ähnelten sich sehr in Bezug auf Größe, Gewicht und Kopfumfang.
So gering die Unterschiede bei den Körperabmessungen ausfielen – die Geburtserlebnisse waren so gegensätzlich wie das Geschlecht der Kinder.
Während meiner ersten Schwangerschaft setzte ich mich intensiv mit dem Thema Geburt auseinander. Ich las stundenlang in Büchern und im Internet. Fachliche Texte und Geburtsberichte. Ich war informiert über natürliche Geburten, selbstbestimmte Geburten, Blasensprung, Wehen, Geburtsorte, Kaiserschnitte, Not-Kaiserschnitte, Wunsch-Kaiserschnitte, die durchschnittliche Dauer einer Geburt, Geburtsverletzungen, PDA, Hypnose, Geburtszange, Saugglocke und eigentlich über alles, was im WWW zu finden ist. Und das ist wirklich eine Menge.
Trotz allem war ich absolut unvorbereitet, als ich 12 Tage vor dem errechneten Entbindungstermin am Abend einen Blasensprung hatte.
Der werdende Papa war noch nicht zu Hause. Ich saß auf dem Sofa im Haus meiner Eltern und verlor plötzlich einen kleinen Schwall Wasser. Meine Hose und auch das Sofa waren nass. Mein erster Gedanke war nicht „Das war das Fruchtwasser, jetzt geht es los, bald werde ich Mama sein“ – Nein! Mein erster Gedanke war „Super, jetzt hast du noch nicht mal mehr deine Blase unter Kontrolle.“ Erst als beim Wechseln der Klamotten das feine Rinnsal nicht stoppen wollte, wurde mir bewusst, dass es sich wohl um Fruchtwasser handeln musste. Dank meiner wochenlangen Studien wusste ich, dass im Falle eines Blasensprungs entscheidend ist, ob das Köpfchen des Kindes bereits ins Becken gesunken ist oder nicht. Da am Morgen beim Vorsorgetermin laut meines Arztes, das Köpfchen bereits startbereit im Becken lag, konnte ich auf das beängstigende Vorgehen mit dem Rettungswagen liegend ins Krankenhaus gebracht zu werden, verzichten. Stattdessen war ich die Ruhe selbst, setzte mich zurück aufs Sofa und legte die Beine hoch. Von Wehen war weit und breit nichts zu spüren. Ich bat meine Mutter für meinen Liebsten zu kochen, damit dieser noch etwas zum Essen bekäme, bevor ihm womöglich eine lange Nacht bevor stand. Dazu muss ich vielleicht erwähnen, dass mir das wirklich äußerst wichtig war, denn mein Liebster ist absolut unausstehlich wenn er Hunger hat – und welche Frau möchte einen schlecht gelaunten Mann im Kreißsaal haben? Dieser wollte natürlich gleich los, als er nach Hause kam und von dem bevorstehenden Ereignis hörte. Noch immer die Ruhe selbst, überzeugte ich ihn schließlich davon sich erst das Essen von Schwiegermutti schmecken zu lassen. Als wir ins Krankenhaus aufbrachen, war seit dem Blasensprung bereits eine Stunde vergangen und nach wie vor war keine Wehe in Sicht.
Mein Liebster hatte es im Auto dann ziemlich eilig, schließlich wird man ja nicht jeden Tag Papa. Vielleicht war aber auch der Gedanke an die Abschlussprüfung seiner Weiterbildung am kommenden Tag daran beteiligt. Ganz im Sinne – je schneller wir im Krankenhaus sind, desto schneller ist der kleine Mann vielleicht da. Dank der Prüfung hatte er ja einen gewissen Zeitdruck. Ich war weiterhin die Ruhe selbst und wir blicken noch heute sehr amüsiert darauf zurück, wie wir ausgerechnet auf dem Weg in den Kreißsaal in eine Polizeikontrolle kamen und gleichzeitig wild gestikulierend durch die geöffneten Fenster klar stellten, dass wir gleich ein Baby bekommen werden. Die netten Herren hatten scheinbar keine Lust, an einem kalten Dezemberabend auf offener Straße den Geburtshelfer zu spielen und schickten uns schnell weiter. Damit hat der kleine Mann wohl Papa den Führerschein gerettet und ihm ein saftiges Bußgeld erspart.
Im Krankenhaus angekommen meldeten wir uns im Kreißsaal. Das CTG zeigte keinerlei Wehen und die Untersuchung ergab einen Muttermund der 2cm geöffnet war.
Das war er allerdings, dank vorzeitiger Wehen, schon seit der 26. Schwangerschaftswoche. Da es im Kreißsaal nebenan etwas lauter wurde, schickte uns die Hebamme los – spazieren. In 1,5 bis 2 Stunden sollen wir wieder kommen. Vorher gab es noch ein Zäpfchen, dass den Muttermund weich machen soll. Wir wanderten also endlos durch die Krankenhausflure und unterhielten uns über dies und das. Innerhalb der nächsten 2 Stunden hatte ich genau zwei Wehen, die mich zwar kurz zum Stehenbleiben zwangen, aber ansonsten von den üblichen Senkwehen nicht zu unterscheiden waren. Zurück im Kreißsaal kam ich nochmals ans CTG und wurde untersucht. Weiterhin keine Wehen und auch am Muttermund war keine Veränderung eingetreten. Wir wurden in ein kleines Zimmer geschickt zum Schlafen „Ihr Baby wird sich wohl noch etwas Zeit lassen.“ Hätte ich kein Fruchtwasser verloren, hätten sie uns nach Hause geschickt. Um 23 Uhr schlüpfte ich also in meine Schlafsachen und legte mich ins Bett. Im Liegen fühlte ich mich plötzlich gar nicht mehr wohl und stand kurz darauf wieder auf und spürte meine erste richtige Wehe. Stehen bleiben, tief durchatmen. So fühlt sich das also an. Das bedeutet wohl, dass es jetzt vielleicht doch bald losgeht. Und dann stürzte ich zur Toilette, um mich zu übergeben. Innerhalb der nächsten 50 Minuten hatte ich 4 weitere Wehen. Zwischen diesen war ich weiterhin fast durchgehend damit beschäftigt, mich zu übergeben. Momentmal, davon hatte ich nirgends etwas gelesen und so hatte ich mir die Geburt auch überhaupt nicht vorgestellt. Wir klingelten nach der Hebamme, diese erklärte uns, dass es durchaus sein kann, dass der Körper auf die Schmerzen durch die Wehen mit Übelkeit reagiert und bot mir an, mir ein Schmerzmittel zu spritzen, damit wir noch ein bisschen schlafen könnten, bevor es „richtig losgeht“. Dankend nahm ich das Angebot an. Als ich die Spritze mit den Worten „dauert jetzt ca. 30 Minuten bis sie wirkt“ bekam, war es ein paar Minuten nach Mitternacht. Die Übelkeit hatte nach der letzten Wehe etwas nachgelassen und ich wollte mich gerade wieder hinlegen, als ich wie aus dem Nichts heraus das Bedürfnis hatte zu pressen. Mein Liebster wirkte etwas irritiert und fragte mich, ob er nochmals nach der Hebamme klingeln sollte. Ich verneinte dies vehement – sie ist ja gerade erst zur Tür rausgegangen. Ich wusste ja aus Büchern und Erzählungen, wie eine Geburt abläuft, dass für gewöhnlich mehrere Stunden regelmäßige Wehen nötig waren, um den Muttermund vollständig zu öffnen – somit war für mich eindeutig klar, dass es sich hierbei noch nicht um Presswehen handeln kann. Eine weitere Presswehe. Erneut die Frage meines Mannes, ob es nicht besser wäre, nach der Hebamme zu klingeln. Bei der dritten Presswehe tat er dies dann auch. Zu diesem Zeitpunkt verlor ich jegliche Orientierung und jedes Zeitgefühl. In Bruchstücken erinnere ich mich daran, dass ich in den Kreißsaal gebracht wurde, dort auf einem Bett ein paar weitere Presswehen hatte, jemand mit mir sprach – aber nicht daran wer es war und was gesagt wurde. Meine Erinnerung wurde klar mit der letzten Presswehe, die Wehe bei der ich einen Schrei ausstieß und mit der plötzlich ein Adrenalinschub durch meinen Körper schoss. Es war 0.26 Uhr. Mein Sohn wurde mir auf die Brust gelegt und ich war total überwältigt. Ja, es war dieses Gefühl, welches einem zuvor so oft beschrieben wurde. Ich war glücklich. Schmerzen hatte ich keine, was wohl auf die Mischung aus Adrenalin und der Schmerzspritze, die nun ihre 30 Minuten „bis sie wirkt“ hinter sich hatte, zurückzuführen war. Ein Arzt kam, ich hatte Geburtsverletzungen und musste genäht werden. Mir war alles egal, ich schwebte im siebten Himmel und hatte nur noch Augen für meinen Mann und meinen Sohn. Als der Adrenalinpegel wieder sank, kam auch die Übelkeit zurück. Dieses Mal nicht mehr so heftig, wie während der Wehen und sie verschwand auch nach kurzer Zeit wieder. Meine Nachsorgehebamme erklärte mir später, dass die Übelkeit wohl daher kam, dass meinem Körper alles zu schnell ging: Der Muttermund öffnete sich um die restlichen 8cm mit nur 5 Wehen – innerhalb einer Stunde. Auch für meinen Kopf war es zu schnell, mir fehlen Erinnerungen und ich fühlte mich um ein eine besondere Erfahrung betrogen.
Oft wurde mir gesagt, ich solle doch glücklich darüber sein, dass die Geburt so schnell ging, besser als stundenlang in den Wehen zu liegen. Ich hatte keine Vergleichsmöglichkeiten und so war ich letztlich einfach froh, dass alles vorbei war.
Umso dankbarer war ich nach der Geburt meiner Tochter, diese dauerte zwar länger, aber ich habe sie bewusst erlebt und habe eine besondere Erfahrung mitgenommen, ganz ohne Erinnerungslücken. Und ohne Übelkeit.
Die Geburt begann kurz nach Mitternacht, genau 1 Woche vor dem errechneten Geburtstermin. Ich wachte auf, weil ich Wehen hatte. Keine schmerzhaften Geburtswehen. Wehen, die sich anfühlten wie die zahlreichen Übungs- und Senkwehen der letzten Wochen. Aber sie waren regelmäßig – sie kamen alle 10 Minuten. Ich spürte eine absolute Ruhe in mir. Schlafen konnte ich nicht mehr, meinen Mann aufwecken und ins Krankenhaus fahren? Nein. Mein Gefühl sagte mir, dafür ist es noch zu früh. So lag ich im Bett und stoppte die Abstände der Wehen und ging in Gedanken durch, ob ich an alles gedacht hatte. Ich wollte ambulant entbinden. Nach zwei Stunden Kreißsaal direkt nach Hause fahren zu meinem 2-jährigen Sohn, musste also auch schon alles für die Heimfahrt dabei haben und die Telefonnummer von meiner Nachsorgehebamme. Um 3 Uhr waren die Wehen zwar noch immer nicht stärker, dafür aber in einem Abstand von 3 Minuten. Ich weckte also meinen Mann, wir machten uns gemütlich fertig,  verständigten die Oma, die auf den Großen aufpassen würde und machten uns auf den Weg. Zügig aber nicht übertrieben schnell. Wir kannten das Wunder der Geburt ja schon und am nächsten Tag wartete auch keine Prüfung. Unterwegs gab es auch keine Polizeikontrolle – woran wir uns amüsiert erinnerten, als wir an der besagten Stelle vorbeifuhren. 4 Uhr - Im Krankenhaus angekommen wurden wir herzlich von einer Hebamme empfangen, die uns bestätigte, dass unsere Tochter wohl noch heute auf die Welt kommen wird. Das CTG zeigte regelmäßige Wehen und der Muttermund war bereits 3cm geöffnet. Ich wollte gerne noch ein bisschen spazieren gehen und wir vereinbarten, dass wir in einer Stunde zurück sind und ich dann gerne zur Entspannung baden möchte. Gleich in der Geburtswanne – eine Wassergeburt stellte ich mir sehr schön vor. 5:30 Uhr – kurze Untersuchung als wir zurück waren, der Muttermund ist bei 5cm angekommen, jetzt geht’s in die Wanne. Dort lag ich dann ganz entspannt am CTG angeschlossen – die Wehen kamen weiterhin im Abstand von 3 Minuten und waren noch immer nicht schmerzhaft. Die Hebamme bedauerte, dass sie die Kleine wohl nicht mehr kennenlernen wird, weil gleich Schichtwechsel ist und verabschiedete sich von uns. Während sie im Zimmer nebenan „Übergabe“ machte, bereitete ich mich mental darauf vor, dass nach so einer liebreizenden Hebamme nun bestimmt der absolute „Drache“ auf uns losgelassen wird. Herein kam kurze Zeit später die Hebamme, welche bereits bei der Geburt unseres Sohnes dabei war. Da keine weitere werdende Mama im Kreißsaal war, hatte sie ausschließlich Zeit für uns und wir plauderten angeregt. Zwischendrin überprüfte sie die Wehenabstände und den Muttermund. Die Wehen kamen weiterhin alle 3 Minuten, hatten aber keinerlei Wirkung mehr auf den Muttermund. Wehenschwäche nennt man das – so die Info. Normalerweise kommt in solchen Fällen ein Wehentropf zum Einsatz, um die Wirkung zu verstärken. Wie es denn bei der ersten Geburt gewesen wäre. Wir schilderten kurz, dass die Geburt mit einem Blasensprung begann und die Wehen dann äußerst effektiv waren. Mit unserem Einverständnis verzichtete sie auf den Einsatz des Tropfs und öffnete die Fruchtblase.
Schon kurz darauf verstärkten sich die Wehen. Ich war nicht mehr so entspannt und musste mich voll und ganz aufs Atmen konzentrieren. In den Pausen zwischen den Wehen scherzten und plauderten wir weiter. Mein Mann ließ das CTG nicht aus den Augen und hatte seine größte Freude daran mir mitzuteilen, wenn er erkannte, dass sich wieder eine Wehe aufbaut. Als ob ich das nicht spüren würde ;-)
Gegen 8:15 Uhr wurde es immer schwieriger die Wehen zu veratmen. Auch fühlte ich mich in der Wanne nicht mehr wohl und überhaupt hatte ich gar keine Lust mehr, ein Baby zu kriegen und wollte lieber nach Hause. Als ich gerade den Wunsch äußern wollte, aus der Wanne herauszusteigen, setzten die Presswehen ein. Ich sagte nichts, ein Ende war zu sehen. Die Wehenschmerzen waren weg, jetzt war da einfach nur ein heftiger, unangenehmer Druck im Unterleib, aber jetzt konnte ich etwas tun. Nicht nur atmen. Ich erlebte jede Presswehe bewusst mit und versuchte mich in den Pausen zu entspannen. Zwischendurch kam ein Arzt vorbei, stellte sich vor und fragte ob alles in Ordnung sei. Auch dieses Mal war die letzte Presswehe die schmerzhafteste, aber es folgte der Adrenalinschub und wieder das unbeschreibliche Glück mein Baby in den Armen zu halten.
Das Schlimmste an der Geburt war für mich das Aussteigen aus der Wanne. Das Aufstehen mit der plötzlichen Leere im Bauch und leider fand auch mein Kreislauf das lange Baden in Kombination mit einer Geburt nicht so toll und verabschiedete sich kurzzeitig. Dieses Mal hatte ich nur eine leichte Geburtsverletzung davongetragen, die schnell genäht wurde. Ich genoss das Kuscheln mit meiner Tochter und schoss bereits das erste Foto. Mein Kreislauf erholte sich leider nicht ganz so schnell, so dass aus der ambulanten Geburt letztendlich doch ein 24-stündiger Krankenhausaufenthalt wurde.
Aber das Beste: Ich konnte nach dem schönen Geburtserlebnis meiner Tochter für mich persönlich einen Vergleich ziehen und bin zu dem Schluss gekommen: Schneller ist nicht unbedingt besser.

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